Die Produktion von Waren und Dienstleistungen funktioniert zunehmend in vielschichtigen, netzwerkartigen Organisationsformen – den sogenannten Lieferketten (supply chains). Unzählige Akteure aus den unterschiedlichsten Weltregionen werden durch diese supply chains in der globalisierten Wirtschaft miteinander verknüpft und tragen durch Arbeitsteilung gemeinsam zur Wertschöpfung bei. Vor allem transnationale Konzerne lagern weniger profitable Produktionsschritte und Dienstleistungen in andere Länder aus. In der Regel orientierten sich diese Auslagerungsprozesse an vergleichsweise niedrigen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards, welche typischerweise in den sogenannten Billiglohnländern vorherrschen. Um der Missachtung von Menschenrechten sowie der Schädigung der Umwelt entgegenzuwirken, ist nun in Deutschland für das Jahr 2023 die Einführung eines neuen Lieferkettengesetzes geplant. Welche Regelungen das neue Lieferkettengesetz vorsieht und was Unternehmen zukünftig bei der Organisation ihrer Lieferketten berücksichtigten sollten, erfahren Sie hier.
In den Entwicklungsländern sind Kinderarbeit und Hungerslöhne leider keine Seltenheit. Daher soll das neue Lieferkettengesetz zu mehr Schutz von Menschen und Umwelt in einer globalen Weltwirtschaft führen. Immer wieder verletzten Unternehmen innerhalb ihrer Liefer- und Wertschöpfungsketten grundlegende Menschenrecht. Vor allem Kinderarbeit, Diskriminierung, Ausbeutung und fehlende Arbeitsrechte lassen sich immer wieder feststellen. Aber auch Umweltzerstörungen, wie beispielsweise illegale Abholzung, Pestizid-Ausstoß sowie Wasser- und Luftverschmutzungen, sollen durch das Lieferkettengesetz in den Blick genommen werden. Mit Inkrafttreten des Gesetzes werden deutschen Unternehmen klare Regeln in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards an die Hand gegeben. Zukünftig können weltweite Verstöße von unmittelbaren Zulieferern dazu führen, dass deutsche Unternehmen bei der Missachtung von Sorgfaltspflichten sich vor deutschen Gerichten verantworten müssen. Es drohen dann hohe Bußgelder.
Der Hintergrund des geplanten Lieferkettengesetzes sind die von den Vereinten Nationen verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Dabei setzte die Bundesregierung mit einem nationalen Aktionsplan zunächst auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte sowie Umweltschutzstandards. 2018 verpflichtete sich die Regierung im Koalitionsvertrag dazu, ein Gesetz zu etablieren, sofern die Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreichend sei. Dies ist nun der Fall, denn die Unternehmen konnten den Erwartungen der Regierung bislang nicht gerecht werden. Hintergrund ist eine von der Regierung veranlasste Befragung unter deutschen Unternehmen. Befragungen darüber, wie die einzelnen Unternehmen sicherstellen, dass Menschenrechte im Rahmen ihres eigenen unternehmerischen Handelns und innerhalb ihrer Lieferkette beachtet werden, brachten enttäuschende Ergebnisse: Weniger als 50% der Unternehmen kommen dabei ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach. Mangels ausreichendem Erfolg sieht es die Regierung jetzt für erforderlich, gesetzgeberisch tätig zu werden und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ziele des geplanten Lieferkettengesetzes sind:
Durch das geplante Lieferkettengesetz sollen deutsche Unternehmen verpflichtet werden, bei ihren ausländischen Zulieferern die Achtung von Menschenrechte sowie des Umweltschutzes sicherzustellen. Sollte einem deutschen Unternehmen ein Missstand innerhalb seiner Lieferkette bekannt sein, ist das Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, diesen zu beseitigen. Für den Weg vom Endprodukt zurück zum Rohstoff soll dabei aber eine „abgestufte Verantwortung“ herrschen:
Zudem soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) entsprechend ausgestattet werden, um überwachen zu können, ob Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten einhalten. Außerdem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Möglichkeit zugesprochen bekommen, bei Verletzungen von Menschenrechten und Schädigungen der Umwelt durch ausländische Zulieferer vor deutschen Gerichten klagen zu können. Dabei müssen allerdings die Betroffenen zustimmen. Dies war bislang noch nicht möglich: Bislang konnten nur Geschädigte selbst klagen. Dies scheiterte allerdings in der Praxis regelmäßig an den Lebensumständen. Kommt es zu Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht können Bußgelder verhängt werden. Aktuell sind 10% des Jahresumsatz im Gespräch. Zudem können sanktionierte Firmen bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Zunächst soll das geplante Lieferkettengesetz nur für große Unternehmen, welche mehr als 3.000 Beschäftigte aufweisen, gelten. In einem zweiten Schritt soll der Anwendungsbereich des Gesetzes aber auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten erweitert werden. Dieser Schritt wäre im Jahre 2024 zu erwarten. Kleinere Unternehmen könnten dennoch von dem Gesetz erfasst sein, wenn sie ihre Waren oder Dienstleistungen an Unternehmen verkaufen, die diese Grenze überschreiten.
Auch das Europäische Parlament hat sich bereits für ein Lieferkettengesetz auf EU Ebene ausgesprochen. Dieses soll jedoch deutlich strenger ausfallen als das der Bundesregierung. Eine breite Mehrheit des EU-Parlaments stimme für weitreichende Sorgfaltspflichten für europäische Unternehmen zur Wahrung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten. Im Unterschied zum deutschen Lieferkettengesetz sollen dem Anwendungsbereich auch kleine und mittlere Unternehmen unterfallen. Zudem wird gefordert, dass Unternehmen auf Schadensersatz für Verstöße gegen die Menschenrechte und Umweltstandards verklagt werden können. Dabei soll das Gesetz nicht nur für Unternehmen gelten, die in der EU sitzen, sondern auch für solche gelten, die im Binnenmarkt tätig sind. Außerdem sollen Einfuhrverbote für Produkte erteilt werden, die in einem Zusammenhang mit Zwangsarbeit oder Kinderarbeit stehen. Doch der Gesetzgebungsprozess ist auf europäischer Ebene noch nicht gestartet. Erst wenn die Kommissionen dem Parlament einen Vorschlag vorlegt, kann dieser starten. Damit ist jedoch in nächster Zeit nicht zu rechnen. Daher wird das deutsche Gesetz vorher in Kraft treten. Sollte jedoch auf europäischer Ebene ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden, so müsste die Bundesregierung ihre geschaffenen Regelungen entsprechend den europäischen Standards nachjustieren.
Das Lieferkettengesetz steht im Lichte der Corporate Social Responsibility (CSR). CSR ist ein zentraler Begriff der Unternehmensethik, unter dem man regelmäßig die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen als Teil des nachhaltigen Wirtschaftens versteht. Dabei werden vielfach sogenannte ESG-Kriterien verwendet, um die Einhaltung der gesellschaftlichen Verantwortung des eigenen Unternehmens und seiner Lieferanten zu überprüfen. ESG steht für:
Um Schadensfälle abzuwenden, sollten Unternehmen ein angemessenes Risikomanagement etablieren, welches innerhalb der eigenen Lieferkette Transparenz schafft. Dies ist von zentraler Bedeutung, da Verstöße von Menschenrechten und Umweltschutzstandards in der Regel nicht beim unmittelbaren Lieferanten auftreten. Diese finden oftmals in weiter vorgelagerten Stufen, wie beispielsweise bei der Gewinnung der Primärrohstoffe, statt. Bei der Auswahl von Lieferanten (Lieferantenmanagement) gewinnen die ESG-Kriterien daher immer mehr an Relevanz. Erfolgsfaktoren für ein effektives Lieferanten-Risikomanagement:
Unternehmen sollten daher ihre Compliance-Organisation um Nachhaltigkeit- und Menschenrechtsgesichtspunkte in ihrer Lieferkette ergänzen. Auch kann es sinnvoll sein, in den Lieferantenbedingungen auf einen eigenen „Verhaltenskodex“ zu verweisen, mit dem das Unternehmen seine Erwartungen an die Zusammenarbeit verbindlich festschreibt. Hier können auch etwaige Sanktionen, wie Kündigungen, Schadensersatzansprüche oder Freistellungsansprüche, geregelt sein. Auch wenn das Gesetz vermutlich erst im Jahr 2023 in Kraft treten wird, lohnt sich eine frühzeitige Vorbereitung. Denn die strukturellen Anpassungen auf das Lieferantenmanagement können einige Monate in Anspruch nehmen. Daher kann sich eine jetzige Überprüfung der Vorgaben schon lohnen.
Da das genaue Haftungsregime noch nicht klar ist, lassen sich noch keine konkreten Aussagen zum Versicherungsschutz treffen. Grundsätzlich könnte ein Deckungsschutz im Bereich der Haftpflicht-Versicherung bestehen. Auch könnten etwaige Regressansprüche der betroffenen Unternehmen gegen ihre Leitungsorgange in Erwägung gezogen werden. Hier kann möglicherweise eine D&O-Versicherung zum Einsatz kommen. Weitere Informationen zur Haftpflicht- und D&O-Versicherung erhalten Sie hier: