Auch unbenannte Gefahren werden von Versicherern gedeckt. Während die Einbeziehung unbenannter Gefahren in die industriellen Versicherung der Standardfall darstellt, ist deren Deckung in der Absicherung für Privatkunden immer noch der absolute Ausnahmefall. Die sogenannte “All Risk Deckung” ist bei privaten Versicherungen häufig als ein zubuchbares Bonusprodukt anzusehen. Sie stellt zumeist das größte Leistungspaket eines jeden Versicherers, das nur gegen beträchtliche Erhöhung der Versicherungsprämie angeboten wird dar. Anzutreffen ist die Absicherungsform vor allem in den Sachversicherungen, also der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung.
Typisch für die Allgefahrendeckung ist die Verwendung einer sog. “Generalklausel”, wonach Schäden aus jeglichen Ursachen deckt werden. Diese Klausel regelt den Versicherungsfall und den Umfang der versicherten Schäden. An den Eintritt des versicherten Schadens in Bezug auf Zeitpunkt, Ort, Interesse und Sache werden im Anschluss bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Unbenannte Gefahren sind versicherungstechnisch von den so genannten benannten Gefahren (named-perils) abzugrenzen, die einzeln im Vertrag aufzuführen und zu definieren sind. Bei der Allgefahrendeckung fehlt es meistens die enumerative Benennung der gedeckten Gefahren. Das geltende Prinzip lautet: „Alles ist versichert, was nicht anderweitig versichert werden kann oder explizit ausgeschlossen ist.“
Auf den ersten Blick handelt es sich um eine sehr weitreichende Deckung. Gleichwohl hat auch sie ihre Grenzen, die sich zum einen aus der individuellen Risikobeschreibung selbst und im Übrigen aus den vereinbarten Risikoausschlüssen ergeben.
In der Regel leistet der Versicherer nach seinen allgemeinen Versicherungsbedingungen Entschädigung für versicherte Sachen, die durch ein „unmittelbar von außen her einwirkendes Ereignis“ zerstört oder beschädigt werden. Diese Einschränkung schließt solche Schadensursachen aus, die auf einem inneren, betriebsinternen Vorgang beruhen. Vor allem in den technischen Versicherungszweigen sollen so Schäden durch Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler oder Materialfehler aus dem Versicherungsschutz herausgenommen werden. Demzufolge ist eine bedingungsmäßige Zerstörung oder Beschädigung von vornherein nicht gegeben, wenn lediglich ein ursprünglich vorhandener Mangel – mit oder ohne Substanzveränderung – offenkundig wurde.
Die All Risk Deckung ist die Entschädigung für unvorhergesehen eintretende Beschädigungen oder Zerstörungen an versicherten Sachen.
Um den Begriff der “Allgefahrenversicherung” nicht mit dem einer “Allschadenversicherung” zu verwechseln, erfasst der Versicherungsschutz regelmäßig nicht jeden Schaden, gleich aus welcher Ursache. Einbezogen wird nur die „unvorhergesehene Zerstörung oder Beschädigung“ einer versicherten Sache. Unvorhergesehen sind Schäden, die der Versicherungsnehmer oder seine Repräsentanten weder rechtzeitig vorhergesehen haben noch mit dem für die im Betrieb ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Fachwissen hätten vorhersehen können. Es schadet dabei nur grob fahrlässige Unkenntnis. Diese berechtigt den Versicherer dazu, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Der Deckungsumfang einer Allgefahrenversicherung wird primär durch die verwendete Definition des Versicherungsfalles begrenzt. Hinzutreten oft zahlreiche Aufzählungen der Schadenursachen und Gefahren. Da alle externen Gefahren gedeckt sind, haben Aufzählungen genannter Gefahren allerdings einen lediglich beispielhaften Charakter. Dies ergibt sich in der Regel durch den die Auflistung einleitenden Wortlaut „insbesondere“. Hiermit ist dem Versicherungsnehmer lediglich der Überblick über den Umfang der Versicherung zu erleichtern.
Auf sekundärer Ebene wird die Allgefahrendeckung durch die Anzahl und der Reichweite der explizit und abschließend zu vereinbarenden Ausschlusstatbestände eingegrenzt. Dabei ist die Klausel über den Risikoausschluss zugunsten des Versicherungsnehmers eng auszulegen. Dies erfordert ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise. Die Darlegungs- und Beweislast für die bedingungsmäßigen Voraussetzungen des Ausschlusses liegen auf Seiten des Versicherers.
Für diese Versicherung besteht keine Konditionenempfehlung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Ältere Klauseln listen eine Reihe von konkret benannten und im Anschluss definierten Gefahren auf. Da es aber auf die Begriffsdefinitionen der beispielhaft aufgelisteten Gefahren letztlich nicht ankommt, beschränken sich neuere Klauseln auf die Festlegung der Voraussetzungen für eine Deckung der unbenannten Gefahren. Beispiele:
Enge Klausel :
„Der Versicherer leistet Entschädigung für versicherte Sachen, die durch eine plötzliche, unvorhergesehene, von außen einwirkende Ursache zerstört oder beschädigt werden, z. B. Innere Unruhen, böswillige Beschädigungen, Anprall von Fahrzeugen, Rauch/Ruß, Sengschäden und Überschallknall.“
Weite Klausel:
„Wir leisten Entschädigung für versicherte Gebäude, die durch andere als gemäß §§ 1 bis 6 versicherbare Gefahren und Schäden unvorhergesehen zerstört oder beschädigt werden (Sachschäden).“
In den USA gibt es das sog. „Home Owners Police“ Modell inklusive einer Allgefahrendeckung im Haushaltsbereich schon seit der 1950er Jahren. Das Produkt “all risk insurance“ ist also schon längst auf dem Markt etabliert. In Deutschland hat sich dieses Modell nicht wirklich durchgesetzt. Grund dafür dürfte ein ausgesprochenes “Anspruchsdenken” des deutschen Versicherungsnehmers sein. Während US-Amerikanische Versicherer wegen vergleichsweise geringwertigen Beschädigungen kaum einspringen müssen, ist in Deutschland die Anzahl der Schadensmeldungen in Privatversicherungen um einiges höher. Dies stellt sich für deutsche Versicherer als eine spürbare wirtschaftliche Hürde dar, Policen mit Allgefahrendeckung anzubieten. Unbenannte Gefahren sind eher im Rahmen einer “Add-on” Lösung versichert, die in erster Linie von sehr solventen Versicherungsnehmern mit einem gehobenen Leistungsanspruch gewählt wird.
Die Statistik zeigt, dass Versicherungsnehmer mit einer All Risk Deckung, öfter Schäden in erheblichem Umfang anmelden. Um Missbrauchs- und Betrugsfällen effektiv einzudämmen, sehen sich Versicherungsunternehmen nicht selten dazu gezwungen, das Produktangebot aufgrund der zu hohen Schadensquote einzustellen.
Unbenannte Gefahren müssen in ihrer möglichen Anzahl beschränkt werden. Großer Nachteil für Versicherer sind damit die Leistungsausschlüsse, die zwingend in der Police in einer aufwendigen und komplizierten Auflistung enthalten sind. Die große Anzahl an Ausschlüssen entspricht dieser der denkbaren Sachverhalte, die eintreten können. Da Lebensgeschehen oft unvorhersehbar und kompliziert sind, erfordert die Erfassung von möglichst vielen Ausschlüssen einen riesigen Arbeitsaufwand. Dabei ist das Ergebnis auch nicht sichergestellt, da sich mit der Zeit immer mehr neue Sachverhalte als relevant erweisen.
Was die Transparenz angeht, ist fraglich, ob eine All Risk Deckung gegenüber der Benennung einzelner Gefahren wirklich überlegen ist. Ob der Versicherungsnehmer über einen Ausschluss die Policendeckung überschreitet, oder über einen nicht vorhandenen Einschluss nicht in den Genuss der Deckung kommt, lässt sich pauschal nicht beantworten, sondern nur nach dem Einzelfall. Die Wahrscheinlichkeit über einen nicht vorhandenen Einschluss in den Genuss der Deckung überhaupt nicht reinzukommen, ist schon um einiges höher bei deutschen Versicherern, die traditionell die Einzelaufzählung vornehmen. Umso wichtiger sind die präzisen Ausschlüsse, da der Versicherer diese auch streng beweisen muss. Versicherungsnehmer genießen oftmals eine deutlich günstigere Stellung im Vertragsverhältnis.
Aus unserer Perspektive (die eines Maklers) zeigt sich, dass die Deckung unbenannter Gefahren von Hausratsversicherungen eher zu den teuren Produkten im Privatkundenbereich gehört, die von höherwertigen Hausartversicherern (und deren Tarifen) angeboten wird, und zwar eher für Besitzer von wertvollen Gegenständen (Schmuckstücke, Mobiliar, Kunst, etc.). Im gewerblichen und industriellen Bereich werden auch gemischte Varianten der entsprechenden Klausel eingesetzt. Versicherer arbeiten einerseits mit Ausschlüssen und auch mit sehr engen Einschlüssen. Die Einordnung des Schadensereignisses und die Verteilung der Beweislast bei der Allgefahrenversicherung sind also äußerst spannende Themen, die die Rechtsprechung mit etlichen Problemen bereichert haben.
Sollten Sie sich für den Abschluss einer Allgefahrenversicherung interessieren, setzen Sie sich gerne mit dem Team vom STC in Verbindung. Wir helfen Ihnen gerne weiter!